Lebenslauf des Scheiterns

Erwin Goffmann zitiert in seinem 1959 erschienenen Buch „Wir spielen alle Theater“ den bemerkenswerten Absatz:

„Es ist wohl kein historischer Zufall, daß das Wort »Person« in seiner ursprünglichen Bedeutung eine Maske bezeichnet. Darin liegt eher eine Anerkennung der Tatsache, daß jedermann überall und immer mehr oder weniger bewußt eine Rolle spielt … In diesen Rollen erkennen wir einander; in diesen Rollen erkennen wir uns selbst“

Umso wichtiger erscheint es mir zu reflektieren, wann, wie und wofür meine Inszenierung der eigenen Rolle stattfindet. Inspiriert vom britischen Psychologen Nicholas Holmes, welcher auf Twitter seine eigenen Publikationen im Nachhinein kritisch evaluierte, möchte ich seinem Gedanken folgend mit dem nachstehenden Lebenslauf des Scheiterns insbesondere auf die zahlreichen Misserfolge im Rahmen meiner bisherigen Tätigkeit hinweisen.
Im Rahmen meiner berufsbildenden höheren Schullaufbahn (BHAK) war der Aufstieg in die jeweils nächsthöhere Schulstufe stets gefährdet. So war zwar meine Maturaleistung in Deutsch meinem Lehrer nach die „Beste“ der vergangenen Jahre, dennoch aber nicht ausreichend. Ich durfte also in der mündlichen Maturaprüfung beweisen, dass ich der allgemeinen Hochschulreife würdig war.
Nach dem erreichten positiven Abschluss wählte ich angesichts meiner vorherrschenden beruflichen Ideenlosigkeit zunächst das Studium der Wirtschaftsinformatik als vermeintliche passende Alternative. Innerhalb weniger Wochen musste ich erkennen, dass neben dem schlecht gewählten Zeitpunkt des Studienbeginns, insbesondere die Inhalte eine Überforderung darstellten. So scheiterte ich im Gegensatz zu meinen Mitstudierenden bereits an den „einfachsten“ Übungen und Aufgaben. Das für den Studienerfolg nötige Wissen konnte und wollte ich mir nicht aneignen. Letztlich brach ich den Studienversuch nach weniger als einem Semester erfolglos ab.
Die währenddessen begonnene Ausbildung zum Rettungssanitäter konnte ich zwar abschließen, im Ergebnis hatte ich allerdings weder ausreichend Routine noch theoretisches Wissen auf meiner Landdienststelle gesammelt, um eine adäquate Patient:innenversorgung zu leisten. Auch eine einmalige Bewerbung als Urlaubsvertretung und die Idee einer möglichen beruflichen Tätigkeit scheiterte. Dieser Zustand der geringen Ausbildung sollte sich innerhalb der folgenden acht Jahre kaum ändern. Die aufbauend auf meine Rettungssanitäter – Ausbildung angedachte Bewerbung zum Notfallsanitäter im Jahr 2012 scheiterte bereits an der Aufnahmeprüfung.
Nach einem gescheiterten Versuch in der Privatwirtschaft, wo ich 2010 drei Wochen lang in einem nationalen Logistik Unternehmen arbeitete und einer darauffolgenden Tätigkeit als Hilfskraft in einem Seniorinnenheim 2011, kam ich nur durch einen Tipp auf das Bachelorstudium Soziale Arbeit. Die Entscheidung für das Studium Soziale Arbeit habe ich bis heute nicht bereut.
Wieder war es der Zufall, der mich für das Masterstudium Sozialarbeit, Sozialpolitik und -management nach Innsbruck führte. Die große Begeisterung für eine intensive Auseinandersetzung mit den Theorien Sozialer Arbeit wurde durch Silvia Staub-Bernasconi geweckt. Den auf den erfolgreichen Abschluss folgenden Enthusiasmus wollte ich für ein Dissertationsvorhaben an der dort ansässigen Universität nutzen. Was folgte war eine weitere Episode des Scheiterns. Weder an der inländischen noch an europäischen Universität stieß mein Forschungsvorhaben zu Community Response, einer Verknüpfung von Gesundheits- und Sozialdiensten mit Fokus auf Rettungsdienstliche Versorgung auf die erhoffte positive Resonanz. Darauf folgte auch eine längere Phase der Unklarheit meiner weiteren beruflichen Laufbahn, samt zweier negativ verlaufener Bewerbungen für Jobs als Sozialarbeiter.
Meine Bemühungen für die Tätigkeit als Junior Researcher an der Fachhochschule St. Pölten waren erfreulicherweise von Erfolg getragen. Nach vier Jahren war es erneut eher der Zufall, der mich über ein laufendes Forschungsprojekt zum entscheidenden Kontakt zu meinem derzeitigen Dissertationsbetreuer und dem Doktoratsstudium brachte.

Insgesamt lässt sich also festhalten, dass den vermeintlichen Erfolgen eine wohl nicht minder große Anzahl an Misserfolgen gegenüber steht, die es zu erwähnen gilt.

JahrEreignis
2010Abgebrochenes Studium Wirtschaftsinformatik
2010Kündigung in Probezeit bei einem Logistikunternehmen
2014Scheitern an der Aufnahmeprüfung zum Notfallsanitäter
2016Ablehnung als Doktorand an einer nationalen Universität
2017Ablehnung bei zwei ausgeschriebenen Stellen als Sozialarbeiter
2018Ablehnung als Doktorand an einer europäischen Universität